Kalender


Samstag 20.02.16

Julian Röder - INSEL

Da geh ich hin! Freunde einladen

QR-Code erzeugen



Abendkasse k.A.  

Beschreibung

 


Mehr als fünf Jahre ist es her, dass der Kunstverein Ulm die letzte Einzelausstellung eines

fotografischen Werks gezeigt hat. Nun wendet sich das Programm des Kunstvereins von der

raumbezogenen Installation zu mehr wandgebundenen Präsentationen. Und so kommt das

Medium Fotografie wieder zu seinem Recht – aus höchst aktuellem Anlass. Vom 31. Januar

bis zum 2. April 2016 zeigt der Kunstverein Ulm verschiedene Werkserien des in Erfurt

geborenen jungen Fotografen Julian Röder. Zur Ausstellungseröffnung am Samstag, dem

30.1. um 19 Uhr spricht Matthias Flügge, Publizist, Kunsthistoriker und Rektor der HFBK

Dresden.

INSEL

Julian Röder hält die Kamera ins Zeitgeschehen. Die eingefangenen Momente erzählen von

einer Gegenwart, die sich von Krise zu Krise stolpernd in einem immer dichter werdenden

Netz von Absurditäten verheddert. Es sind die haarsträubenden Auswüchse gegenwärtiger

Konstellationen von Macht und Ökonomie, die Röder interessieren. Mit seinen Serien und

fotografischen Essays, von denen jetzt drei im Ulmer Kunstverein zu sehen sind, lenkt er die

Aufmerksamkeit auf das, was im visuellen medialen Diskurs gerne mal unter den Tisch fällt,

und schafft so detailreich inszenierte Bildinseln, die dem Betrachter einen anderen, kritischen

Blick auf die Gegenwart ermöglichen.

Für seine bekannteste Serie „The Summits“ (2001-2008) begleitete Röder

Globalisierungsgegner zu Staatsgipfeltreffen an unterschiedlichen Orten weltweit. Der

Betrachter findet sich inmitten des Geschehens wieder. Tränengaswolken weiten sich zu

gewaltigen Widerstandsmetaphern aus. Schmalschultrige Jugendliche mit von T-Shirts

vermummten Gesichtern stilisiert Röder zu antikapitalistischen Kriegern. In Heldenpose steht

ein Protestierender mit Gasmaske vor dem Gesicht, an Rüstungen erinnernden Knie- und

Schienbeinschützern am Körper und roter Flagge in der Hand auf einem Betonpfeiler, den

Blick in die Ferne auf ein Geschehen außerhalb des präzise gewählten

Wirklichkeitsausschnitts gerichtet. Im Hintergrund sammeln sich Jugendliche vor dem

Panorama einer staubigen Vorstadt Thessalonikis zum Protest. Fotografien wie diese rufen

Historienbilder, etwa Eugène Delacroix’ „La Liberté guidant le peuple“, ins Gedächtnis und

lassen solche Momente als historisch begreifen.

Wenn Menschenmassen auf Röders Aufnahmen für „Available for Sale“ (2007) zur Eröffnung

einer Shoppingmall auf Glasfassaden und Rolltreppen zuquetschen, erinnert das an jene

Pilger, die in Mekka um die Kaaba kreisen. Die Gesichter der Porträtierten

leuchten blass im Neonlicht. Die wie von der Schnäppchenjagd

ausgemergelten Körper werfen sie schützend über ihre

erstandenen Devotionalien: Geräte von globalen Herstellern

1

wie Toshiba oder Canon und prall gefüllte Plastiktaschen, auf denen groß „Ich war

im saugrößten Mediamarkt der Welt“ zu lesen ist. Wie Heiligenscheine krönen von der Decke

baumelnde Preisschilder mit roten Zahlen die Köpfe derer, die das Paradies betreten haben.

Röder entlarvt die Strategien der Konsummaschinerie als hypokritische Heilsversprechen

und überhöht banale Momente wie diese zu ästhetischen Reflexionsräumen.

Während Arbeiten wie „The Summits“ und „Available for Sale“ noch eine apokalyptische

Qualität vermitteln, hat Röder mit der jüngsten der drei präsentierten Serien, „Mission and

Task“ (2012/13), zu einer Bildsprache gefunden, die das Sujet – die mit der Überwachung

der europäischen Außengrenzen beauftragte Agentur Frontex – in zahlreiche Subtexte

auffächert. Der deutsche Schäferhund einer Finnischen Spezialeinheit sitzt im griechisch-

türkischen Grenzgebiet und wird so zur Metapher für das Hoheitsgebaren der deutschen

Bundesregierung in der europäischen Krisenpolitik. Grenzzäune ziehen sich durch von

Palmen gesäumte Landschaften und werden zum Symbol willkürlicher Abschottung. Bilder

komplexer Überwachungstechnologie und von Frontex-Mitarbeitern mit verhüllten

Gesichtern, die seltsam entrückt vor einer griechisch-orthodoxen Kapelle stehen, rufen ein

Unbehagen hervor, das nicht nur in dieser Serie schwelt, sondern die in unserer Gegenwart

vorherrschende dystopische Stimmung wiedergibt.

Röder verkehrt von ihm Dokumentiertes in konzeptuelle Inszenierungen. So entstehen

allegorische politische Statements und um die Abgründe neoliberaler Gesellschaften herum

gestrickte Erzählungen. Das Interesse an seinen Sujets überführt er in aufwendige

Kompositionen, die mediale Querverweise vom Schlachtengemälde bis hin zum

Monumentalfilm erlauben, die Bühnenästhetik des Theaters nutzen und Protagonisten

mitunter wie Schauspieler im Scheinwerferlicht wirken lassen. Solche Ästhetiken greift er

auch in der Form der Präsentation auf: Mal zeigt er seine Bilder großformatig in schweren

Rahmen, mal als Kundenstopper, also Aufsteller, die potenzielle Kunden in Läden locken

sollen, wie im Fall von „Available for Sale“.

Viele Jahre lang war Röder für die Fotoagentur Ostkreuz tätig. Allerdings hat er sich weder

die Schockästhetik des Fotojournalismus, noch den verklärenden Blick humanistischer

Fotografen angeeignet. Er kommentiert subtil und lässt Leerstellen, die der Betrachter selbst

füllt. So wird der Gang durch die Ausstellung – von der Stürmung des Mediamarkts über die

Konfrontation mit den europäischen Außengrenzen bis rein ins Herz subversiver

Protestbewegungen – zum Insel-Hopping durch eine von Konsumversprechen,

Wohlstandsabschottung und willkürlicher Konstruktion politischer Privilegien diktierten

Weltordnung. (Sabine Weier)

Julian Röder

*1981 Erfurt, lebt und arbeitet in Berlin

1997 Lehrlingsausbildung bei der Fotografie-Agentur Ostkreuz

Studium an der Fotografie-Schule fas am Schiffbauerdamm (Arno Fischer),

Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig

Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW, Hamburg

Ausstellungen:

ZKM Karlsruhe, 2013 (Gruppenausstellung)

Kunsthalle Erfurt, 2014 (mit Robert Capa)

Lenbachhaus München, 2014

Öffnungszeiten:
Mo und Di auf Verabredung/ on appointment only
Mi bis Fr 14 bis 18 Uhr
Sa/ So 11 bis 17 Uhr

Veranstaltungsort

Kunstverein Ulm

Kramgasse 4
89073 Ulm

Lageplan


0 Kommentare