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Beschreibung
Mehr als fünf Jahre ist es her, dass der Kunstverein Ulm die letzte Einzelausstellung eines
fotografischen Werks gezeigt hat. Nun wendet sich das Programm des Kunstvereins von der
raumbezogenen Installation zu mehr wandgebundenen Präsentationen. Und so kommt das
Medium Fotografie wieder zu seinem Recht – aus höchst aktuellem Anlass. Vom 31. Januar
bis zum 2. April 2016 zeigt der Kunstverein Ulm verschiedene Werkserien des in Erfurt
geborenen jungen Fotografen Julian Röder. Zur Ausstellungseröffnung am Samstag, dem
30.1. um 19 Uhr spricht Matthias Flügge, Publizist, Kunsthistoriker und Rektor der HFBK
Dresden.
INSEL
Julian Röder hält die Kamera ins Zeitgeschehen. Die eingefangenen Momente erzählen von
einer Gegenwart, die sich von Krise zu Krise stolpernd in einem immer dichter werdenden
Netz von Absurditäten verheddert. Es sind die haarsträubenden Auswüchse gegenwärtiger
Konstellationen von Macht und Ökonomie, die Röder interessieren. Mit seinen Serien und
fotografischen Essays, von denen jetzt drei im Ulmer Kunstverein zu sehen sind, lenkt er die
Aufmerksamkeit auf das, was im visuellen medialen Diskurs gerne mal unter den Tisch fällt,
und schafft so detailreich inszenierte Bildinseln, die dem Betrachter einen anderen, kritischen
Blick auf die Gegenwart ermöglichen.
Für seine bekannteste Serie „The Summits“ (2001-2008) begleitete Röder
Globalisierungsgegner zu Staatsgipfeltreffen an unterschiedlichen Orten weltweit. Der
Betrachter findet sich inmitten des Geschehens wieder. Tränengaswolken weiten sich zu
gewaltigen Widerstandsmetaphern aus. Schmalschultrige Jugendliche mit von T-Shirts
vermummten Gesichtern stilisiert Röder zu antikapitalistischen Kriegern. In Heldenpose steht
ein Protestierender mit Gasmaske vor dem Gesicht, an Rüstungen erinnernden Knie- und
Schienbeinschützern am Körper und roter Flagge in der Hand auf einem Betonpfeiler, den
Blick in die Ferne auf ein Geschehen außerhalb des präzise gewählten
Wirklichkeitsausschnitts gerichtet. Im Hintergrund sammeln sich Jugendliche vor dem
Panorama einer staubigen Vorstadt Thessalonikis zum Protest. Fotografien wie diese rufen
Historienbilder, etwa Eugène Delacroix’ „La Liberté guidant le peuple“, ins Gedächtnis und
lassen solche Momente als historisch begreifen.
Wenn Menschenmassen auf Röders Aufnahmen für „Available for Sale“ (2007) zur Eröffnung
einer Shoppingmall auf Glasfassaden und Rolltreppen zuquetschen, erinnert das an jene
Pilger, die in Mekka um die Kaaba kreisen. Die Gesichter der Porträtierten
leuchten blass im Neonlicht. Die wie von der Schnäppchenjagd
ausgemergelten Körper werfen sie schützend über ihre
erstandenen Devotionalien: Geräte von globalen Herstellern
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wie Toshiba oder Canon und prall gefüllte Plastiktaschen, auf denen groß „Ich war
im saugrößten Mediamarkt der Welt“ zu lesen ist. Wie Heiligenscheine krönen von der Decke
baumelnde Preisschilder mit roten Zahlen die Köpfe derer, die das Paradies betreten haben.
Röder entlarvt die Strategien der Konsummaschinerie als hypokritische Heilsversprechen
und überhöht banale Momente wie diese zu ästhetischen Reflexionsräumen.
Während Arbeiten wie „The Summits“ und „Available for Sale“ noch eine apokalyptische
Qualität vermitteln, hat Röder mit der jüngsten der drei präsentierten Serien, „Mission and
Task“ (2012/13), zu einer Bildsprache gefunden, die das Sujet – die mit der Überwachung
der europäischen Außengrenzen beauftragte Agentur Frontex – in zahlreiche Subtexte
auffächert. Der deutsche Schäferhund einer Finnischen Spezialeinheit sitzt im griechisch-
türkischen Grenzgebiet und wird so zur Metapher für das Hoheitsgebaren der deutschen
Bundesregierung in der europäischen Krisenpolitik. Grenzzäune ziehen sich durch von
Palmen gesäumte Landschaften und werden zum Symbol willkürlicher Abschottung. Bilder
komplexer Überwachungstechnologie und von Frontex-Mitarbeitern mit verhüllten
Gesichtern, die seltsam entrückt vor einer griechisch-orthodoxen Kapelle stehen, rufen ein
Unbehagen hervor, das nicht nur in dieser Serie schwelt, sondern die in unserer Gegenwart
vorherrschende dystopische Stimmung wiedergibt.
Röder verkehrt von ihm Dokumentiertes in konzeptuelle Inszenierungen. So entstehen
allegorische politische Statements und um die Abgründe neoliberaler Gesellschaften herum
gestrickte Erzählungen. Das Interesse an seinen Sujets überführt er in aufwendige
Kompositionen, die mediale Querverweise vom Schlachtengemälde bis hin zum
Monumentalfilm erlauben, die Bühnenästhetik des Theaters nutzen und Protagonisten
mitunter wie Schauspieler im Scheinwerferlicht wirken lassen. Solche Ästhetiken greift er
auch in der Form der Präsentation auf: Mal zeigt er seine Bilder großformatig in schweren
Rahmen, mal als Kundenstopper, also Aufsteller, die potenzielle Kunden in Läden locken
sollen, wie im Fall von „Available for Sale“.
Viele Jahre lang war Röder für die Fotoagentur Ostkreuz tätig. Allerdings hat er sich weder
die Schockästhetik des Fotojournalismus, noch den verklärenden Blick humanistischer
Fotografen angeeignet. Er kommentiert subtil und lässt Leerstellen, die der Betrachter selbst
füllt. So wird der Gang durch die Ausstellung – von der Stürmung des Mediamarkts über die
Konfrontation mit den europäischen Außengrenzen bis rein ins Herz subversiver
Protestbewegungen – zum Insel-Hopping durch eine von Konsumversprechen,
Wohlstandsabschottung und willkürlicher Konstruktion politischer Privilegien diktierten
Weltordnung. (Sabine Weier)
Julian Röder
*1981 Erfurt, lebt und arbeitet in Berlin
1997 Lehrlingsausbildung bei der Fotografie-Agentur Ostkreuz
Studium an der Fotografie-Schule fas am Schiffbauerdamm (Arno Fischer),
Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig
Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW, Hamburg
Ausstellungen:
ZKM Karlsruhe, 2013 (Gruppenausstellung)
Kunsthalle Erfurt, 2014 (mit Robert Capa)
Lenbachhaus München, 2014
Öffnungszeiten:
Mo und Di auf Verabredung/ on appointment only
Mi bis Fr 14 bis 18 Uhr
Sa/ So 11 bis 17 Uhr
Veranstaltungsort
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