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Samstag 05.11.11
20:30 Uhr
PETER LICHT - "Das Ende der Beschwerde Tour"
ElectroPop



Vorverkauf 19,20 Euro Abendkasse 20,50 Euro |
Beschreibung
Wenn man schon mit Nachnamen Licht heißt, so wie PeterLicht - dann muss man auch leuchten, wohl oder übel. Wie ein Sternchen am Himmel, wie die Nachtlampe im Fenster eines freundlichen Unbekannten. Oder wie der Suchscheinwerfer eines Helikopters, der mit unklarem Ziel durch die Nacht schraddelt, zu einer etwas suspekten Uhrzeit, so dass man sich beim Raufschauen fragt: Suchen die vielleicht nach mir? Wollen die mich schnappen, mich rausreißen aus diesem meinem Lieblingssystem? Muss ich weg? Oder ist alles ganz anders: Weist der Pilot da oben mir etwa den Weg ins Sichere, zur Flucht? Soll ich dem Strahler folgen? Was Besseres als den Tod findet man sicher nicht überall. Aber vielleicht ja dort.
"Wir sollten so beginnen:
Wir singen die Freiheit, wir singen die Möglichkeiten
Wir singen das Land, den Staat, die Ansammlung, die Ausbreitung
Die Einsamkeit, die Hoffnung, die sich tatsächlich erfüllt."
("Sag mir, wie ich beginnen soll")
Denn - Sie haben es schon vermutet - darum geht es, wenn es überhaupt um etwas Einziges geht auf dem neuen, ganz wunderbaren Album von PeterLicht (seinem insgesamt fünften seit 2001, wenn man diverse selbstgebackene Muffins und einen von Künstlerhand ausgehobenen Gartenteich nicht mitzählt): "Das Ende der Beschwerde" handelt vom Ende der Beschwerde. Vom Verschwinden des Gewichts, vom Heilen der Krankheit. Vom Aufgehen im All, in alle Richtungen. Vom Persönlich-Nehmen der Dinge, von der Emanzipation des grammatischen Objekts. Vom einsamen oder gemeinsamen Abhauen, denn auch danach gibt's erst mal nichts mehr zu beschweren.
"Das Ende der Beschwerde" ist eine Ende-Platte wie "Lieder vom Ende des Kapitalismus" (2006), es ist eine Lieder-Platte, weil zwölf Lieder drauf sind (so wie auf "Vierzehn Lieder" (2001) vierzehn Lieder drauf waren), aber vor allem ist es eine Problemlöse-Platte. Man kann die Kunst zwar nicht wirklich stoppen, wenn sie ständig um sich selbst kreist, aber exakt das zeigt uns PeterLicht: Du kannst dich in die Mitte stellen. Dann kreist die Kunst plötzlich – um dich.
"Begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses
Und tragt meine Kundenprofile zur Freibank und häuft euch einen Zuckerberg
Weint mit euren Steuerberatern, mit euren Finanzdienstleistern,
bestattet eure Altersvorsorgeaufwendung in der Luft."
("Begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses")
PeterLicht ist noch nicht lange bei Facebook, und ob er wirklich ein iPhone hat, haben wir zu fragen vergessen. Was ihn trotz allem interessiert an diesen riesigen Gesichtersammlungen im Internet, an den Schwärmen und ihren vom Satelliten georteten Bewegungen: wie die Datenmengen, die immer dichter und formschöner werden, uns mehr und mehr das Leben abnehmen. Wie die Statistiken bald an unserer Stelle das menschliche Dasein führen können. Und wie man sich in diesen Strom hineingleiten lassen kann, wenn man mag. Auch dann hat die Beschwerde ein Ende.
Wer wissen will, wieso PeterLicht sein Gesicht nicht zeigen und uns wenig über seine Biografie sagen will, darf sich selbst einen Grund dafür ausdenken. Vorschlag: Er will keine Missverständnisse provozieren. Er will dem Wort "Ich" - das beim Texten guter Songs oft benötigt wird - möglichst wenig von seiner wahren Bedeutung rauben. Den Unterschied zwischen Kunst und Klempnerhandwerk nicht zu sehr zu verwischen, obwohl man ihn ja eigentlich schon in der Grundschule lernt. Es könnte also zugehen wie in einschlägigen Werwolf-Geschichten: Vielleicht wachst du ja eines Tages auf und merkst, dass du selbst die ganze Zeit PeterLicht warst. Dass die Platten, die du gekauft hast, streng autobiografisch waren, nämlich deine Autobiografie. Dass du sie deshalb all die Jahre so persönlich genommen hast.
"Du, du, du, du und dein Leben
Ihr beide müsst
Dein Leben ändern
Wenn ich nur wüsste, welches Leben ich ändern müsste
Und welches besser nicht."
("Das Ende der Beschwerde")
"Du musst dein Leben ändern", ein Zitat von Rainer Maria Rilke und "der größte Satz, der über diesem Jahrhundert hängt", wie PeterLicht sagt. Auf jeden Fall eine immerwährende, sich selbst erneuernde Aufforderung, die sich durch unser Dasein schlängelt und sich auch dadurch niemals erledigt, dass man sein Leben, nun ja, ändert. Die aber gar nichts mit kapitalistischem Innovationsdruck zu tun hat, auch wenn der Musiker PeterLicht - dessen Stimme man zum Glück sofort erkennt - sich einfach ungern wiederholt.
Nach der pianogetriebenen, kaum verhallten, trockenen und schwammfreien Platte "Melancholie & Gesellschaft" (2008) hat der Künstler nun darauf verzichtet, ein Jazzalbum, ein Ambient-Schichtenmodell oder einen anderen extremen Selbstversuch zu starten. "Das Ende der Beschwerde" ist Popmusik mit großem Schallraum - Pop eins, Pop zwei oder Pop drei, wir haben nicht so gut mitgerechnet -, teilweise mit tatsächlicher, live-im-Studio aufgenommener Band (zum Beispiel in "Sag mir, wie ich beginnen soll" oder "Fluchtstück", zwei Stücken, die bei der Arbeit am Leipziger Theaterstück "Das Abhandenkommen der Staaten" entstanden), teilweise mit imaginierter Gruppe, der man im Kopf selbst die Köpfe aufsetzen kann. Manche Leute werden an Joy Division und New Order denken müssen, an aufsetzen kann. Manche Leute werden an Joy Division und New Order denken müssen, an die traurigste Tanzmusik der Science-Fiction-Geschichte, dem unpoppigsten Mega-Pop, und so ganz falsch kann das nicht sein. Die Liebe wird uns in Stücke reißen. Das Ende der Beschwerde leimt uns wieder zusammen. Zu neuen Menschen. Vielleicht.
"Es ist so wie es scheint
Der Damm, die Mauer
Der Stau, das Wasser
Die Segel in der Ferne
Das Wasser hell
Der Blick frei
Du auf der Mauer
Der Blick in die Ferne
Wo die neuen Menschen warten."
("Der neue Mensch")
Pop tut dies, Pop tut das, hat man oft genug gehört - aber was Pop eben wirklich immer tut, wenn er gut ist: eine Utopie aufwerfen. Möglichkeiten formulieren, unsere Geschichte weiterspinnen. Wer und wie die neuen Menschen sein könnten, von denen PeterLicht hier singt und spricht, wissen wir noch nicht. Sie sind ja allenfalls in der Ferne zu erkennen. Ganz ungefährlich ist es ja auch nicht, nach ihnen auszugucken, so ganz allein auf der glitschigen Staumauer stehend. Und vielleicht ist "Das Ende der Beschwerde" am Ende eben doch keine Ende-Platte, sondern ein Anfang-Album, denn wenn die Beschwerde weg, die Flucht gelungen, das Wort erst mal wörtlich genommen ist, beginnt natürlich ...
"Wir sollten so beginnen:
Wir singen die Freiheit, wir singen die Möglichkeiten
Wir singen das Land, den Staat, die Ansammlung, die Ausbreitung
Die Einsamkeit, die Hoffnung, die sich tatsächlich erfüllt."
www.peterlicht.de
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